Angizia
Ein Toter Fährt Gern Ringelspiel




Ein entrisches Friedhofsstück

Ein Stück von Michael Haas

Plot.

Königsberg, 1947. Auf dem Judenfriedhof des einstigen Ghettos bzw. dort wo die Spielmänner der letzten 30 Jahre eine seltsame Ruhe gefunden haben, macht sich eine schaurig schöne und entrische Stimmung breit. Zwei Totengräber decken gerade eine Erdhöhle zu und schlagen mit ihren kärglichen Schippen auf ein starres Händchen, das hoch und spitz aus einem jämmerlichen Totenhügel ragt. Schon seit Tagen war den beiden Lewskibrüdern aufgefallen, dass ein hünenhafter Rabenvogel an dem Fleischstück zerrt und dreist und schnarrend kaltes Blut aus diesem harten Ärmel saugt. Die Bucklige summt ihr tägliches Schlaflied. Ringsum blasen leibhaftige Marionetten in verschiedene Plastikpfeifchen und -tröten. Dazwischen lehnt eine mürbe Mumie an einen alten Wimmerkasten gefesselt und schielt zur höchsten Stiege des Erdwalls, wo der Kezman seine Leichen zählt und forsche Kommandos in all die Weiler und Flecken der schneebedeckten Umgebung brüllt. Eine ungewöhnliche Stunde scheint sich anzuschleichen auf diesem Friedhof der einstigen Leierkastenmänner, Brezelbuben, Gaukler und Bettlermusikanten. Überall schrille Schreie, wirres Geklapper und ein bizarr singendes Ringelspiel, das wie aufgezogen um einen fauligen Tümpel fährt. Ein wackelnder Einbaum, der sich im Dunst der kalten Nebelschwaden in den Abend schaukelt, wandert von einem Sumpfsteg zum andern. Da und dort lümmeln schwarze Puppen in triefenden Löchern und im Zentrum des Geschehens treibt ein seltsames Hutschpferd unruhig, ja energisch wippend sein apartes Leben voran.

Ein kleines Mädchen, gehüllt in ein dreckig-grünes Prinzessinnenkleid mit zerschlissenen Puffärmeln, steht barfuß vor seinem Grabstein und spielt auf einer kleinen Klezmertrompete. Um den dürren Hals hat das Kind ein rotes Zirkus-Akkordeon mit gebrochenen, ja angesäuerten Tasten geschnallt. Die abgewetzten Lederriemen kerben sich langsam, nach und nach, in das modernde Fleisch dieser ganz und gar kläglichen Gestalt. Im tobenden Staccato raunt ein irres Totenliedchen hinaus aus diesen Mauern und hinein in all die Löcher, hinein in all die Schädel dieser Leichen aus Haut und Bein. Aus der Gruft des Lemberger Werkelmannes dringt nun ein lärmendes Klatschen, das wie ein holpriges Klopfzeichen aus der stillen Grube fährt und sich lauthals in die Ohren all der überzähligen Toten bohrt. Eine rührige Leiche klettert heraus aus diesem stinkenden Loch, stützt sein Gerippe an einen schwarzen Stoffregenschirm und rollt sein loses Köpfchen hinab zum Ringelspielgau, um dort auf einem der vielen mageren Gäule aufzusitzen und das arme Tierchen tot zu reiten. Man kann sich gar nicht satt sehen an so viel verschrobenen Spielereien. Es hat den komischen Anschein, als würden die Gräber dieser Totenstadt zu sonderbaren Häusern werden, in denen all die klirrenden Toten zu leben beginnen. 30 Jahre eine seltsame Ruhe gefunden


Rollen

Der Werkelmann (Der Spielmann).
Kezman (Des Teufels General).
Bertram (Der Knecht).
Redondo (Der Klarinettenspieler).
Cambiasso (Der Geiger).
Der Rabenvater Theodor (Der Akkordeonspieler).
Das Mädchen im Prinzessinnenkleid.
Jonathan (Der Puppenspieler).
Die schwarzen Puppen.
Die weißen Puppen.
Das Ungeziefer.
Der Totmacher.
Die Bucklige.
Der Requiempianist.
Das Schaukelkind.
Der grimmig alte Vladimir.
Der Teufel.
Der Tod.


Medium Theater 2004
1. Kapitel
Klopfzeichen, 1947

2. Kapitel
Ein Toter fährt gern Ringelspiel

3. Kapitel
Macht die Säge "siege-sage"

4. Kapitel
Schaukelkind

5. Kapitel
Der Teufel hält die Fäden

6. Kapitel
Mit einem purpurroten Leichenkarren

7. Kapitel
Macht Platz und lasst die Toten vor!

8. Kapitel
Das Mädchen im Prinzessinnenkleid

9. Kapitel
Klezmerabend

10. Kapitel
Totenackerswing

11. Kapitel
Du wundervoller Zeitvertreib

12. Kapitel
Liebt dich Range die Dohle?

13. Kapitel
Schwarze Puppen

14. Kapitel
Es reiten die Toten so schnell

15. Kapitel
Die flüchtige Leiche

16. Kapitel
Das Gerippe geht dem Ausgang zu

17. Kapitel
Die graue Welt macht keine Freude mehr

18. Kapitel
Er blieb noch ein Weilchen am Leben

19. Kapitel
Zehn tote Hampelmänner

20. Kapitel
Der Kirchhof spielt zum Leichenschmaus

21. Kapitel
Hoppa Hoppa Reiter (Requiemmix)

22. Kapitel
Mein Gaul, mein Gaul verreckt im Dreck

23. Kapitel
Siehst du dein Köpfchen im Spiegel? Nein.

24. Kapitel
Der Vorhang fällt
Klopfzeichen, 1947

Erstes Kapitel


Eröffnung. Ein Toter klopft rührig an die Decke seines eichenen Totenschreins. Wie wild pocht der Leichnam auf die Truhe ein - zuerst mit einem alten Regenschirm, später mit dem Holzwanst seiner zinnoberroten Marionette, die man ihm vor Jahren in die hinabgesenkte Truhe legte, um einen geselligen Tod zu wappnen. Der Tote streckt sein starres Händchen aus dem Erdhügel, der über der Kiste zu einem leidigen Häufchen zusammenfiel und bei schlechter Witterung das kalte Regenwasser in den Sarg sickern ließ. Es scheint, als würde sich Leben breit machen in dieser Totenstadt.

Klopfzeichen.
Violine.

WERKELMANN

Wir schlagen - klopf-klopf - böse ein
auf diese kalte Truhe.
Ein Toter will leibhaftig sein
und gibt partout nicht Ruhe.

Er streckt das kalte Händchen dann
aus einem Totenhügel.
Wir klopfen, klopfen laut und bang!
Wer stirbt, dem wachsen Flügel.

Der Tote schleppt sein Beinchen jetzt
auf Teufels schwarzen Acker.
In einem Kleidchen abgewetzt
tanzt der Tote schicker-schacker.

Er spannt ein schwarzes Schirmchen auf
und huscht - HUSCH HUSCH - zum Totenpfuhl.
Ein Glöckchen klingelt - Toter lauf!
- und bringt den Jud' in Teufels Pool.

August? August? August!
Ich seh' ein Trumm mit Gäulen dran...
Die Klepper fahren Geisterbahn.
Die Schimmel gehen, kein Gaul soll stehen.
Der Kezman lässt die Gäule drehen!
Die Pferdchen drehn' sich ohne Ziel!
Ein Toter fährt gern Ringelspiel!

Ein Toter fährt gern Ringelspiel

Zweites Kapitel

Der Werkelmann hockt auf einem Einbaum im Morast des Totenackers und lotst das spröde Holz planlos von einem Sumpfsteg zum anderen. Um den Hals trägt er eine Klingel, die er kopflos in den Wind schlägt. Immer wieder, immer lauter, immer gieriger. In seiner rechten Hand hält er einen karierten Stoffregenschirm, in der linken sein spöttisches Köpfchen. Er läutet dem Tod und sirrt sich lauthals in eine frostige Totennacht. "Er schreit aus mir, der Schreier", fährt es brabbelnd aus ihm und querfeldein zu den putzigen Ringelspielpferdchen, die wie halbherzig aufgezogen neben dem stinkenden Sumpf und zum verstimmten Wirrwarr eines Requiempianisten auf und ab hüpfen.

WERKELMANN

Es schreit ganz irr, der Tod aus mir!
Er lacht und spielt und tanzt mit mir!

Solo Klarinette/Violine

DES TEUFELS GENERAL (bemerkt, dass der Werkelmann seine Gruft verlassen hat)

Ene mene miste, was rappelt in der Kiste?
Ene mene meck-meck-meck, der Werkelmann ist weg!
DIE BUCKLIGE

Was treibt er, was planscht er im dreckigen Ried?
Ein Schirmchen als Segel, das Köpfchen im Glied.
Der Werkelmann wippt den Einbaum im Kot,
der Werkelmann ist tot!

DER WERKELMANN (verwirrt, sein Wort an den Tod gerichtet)

Ja schläft denn doch der Tod in mir?
Wo hockt er denn, wo hockt er mir? (Wo hockt er mir?)

DIE BUCKLIGE

Er schürt seine Pein, setzt den Spielmann auf die Pferdchen in die Longe!

BERTRAM, DER KNECHT (auffordernd)

Auf den Gaul, wer diesen kennt -
Der Tod sagt an: Die Kiste rennt!

SCHWARZE PUPPEN (Refrain)

Ein Toter fährt so gern' Ringelspiel, der Tod hutscht ihn töricht im Kreis!
Er fährt Ringereiha, die Schimmel lackiert, das Werkel vom Teufel geschmiert!
Die Schimmel lackiert...vom Teufel geschmiert!

SCHWARZE PUPPEN (Refrain)

Ja, klatscht in die Händchen, ihr Toten, was welkt ihr, was sterbt ihr denn hier?
Ja, seht bloß, ein Toter fährt Ringelspiel und reitet die goldigen Tier'!
Ja, hört diesen brabbelnden Toten, was friert er, was schlottert er hier?
Ja, seht bloß, ein Toter fährt Ringelspiel und reitet die goldigen Tier'!

SCHWARZE PUPPEN (geflüstert)

Klatscht in die Händchen, ihr Toten!
Was welkt ihr? Was sterbt ihr denn hier?

Es klatscht in die Händchen, der Werkelmann, er dreht seine sechzigste Rund!
Sein Schädel zerschellte am Boden dann, der Rotz rann ihm just aus dem Mund!

...aus dem Mund! ...dem Mund! ...aus dem Mund!

DER WERKELMANN (flüstert)

Am Rummelplatz steht alles still.
Der Tod hielt an das Holzgestell.

Die Schimmel stehen still. Tödlich still?
Wo ist mein Köpfchen? Verloren?

Der Tod (?) ist fort und ließ mich am Leben.

DER WERKELMANN (DIE BUCKLIGE)

Er haschte meinen Atem und zog mich aus dem Moor,
Er griente, dieser Clown, als ich fror.

Die Schimmel stehen still.

Er drehte meine Kurbel, und die Schimmel hutschten fort,
der Tod ließ mich bammeln und lief fort!

Die Schimmel stehen still.




DER WERKELMANN

Dreht die Kurbel - Leichenpack!
Holt den Teufel aus dem Sack!

SCHWARZE PUPPEN (Refrain)

Ja, klatscht in die Händchen, ihr Toten, was welkt ihr, was sterbt ihr denn hier?
Ja, seht bloß, ein Toter fährt Ringelspiel und reitet die goldigen Tier'!
...die Tier! ...den Tod?

den T-o-d!


Macht die Säge siege-sage
Schaukelkind

Drittes & Viertes Kapitel

Ein horrender Sturm bläst die Gräber zurecht, in den kahlen Löchern hören brabbelnde Gerippe eine schnurrende Säge auf und ab laufen. Als der Spielmann aus seiner versenkten Grube steigt, sieht er ein Kind auf einem morschen Hutschpferd hocken. Es sägt dem Gaul den Kopf ab und summt ein Schlaflied.

DAS SCHAUKELKIND (summt)

Macht die Säge "siege-sage",
macht die Wiege "wiege-wage".
Wiege-wage macht der Wind,
in der Wiege schläft ein Kind.

DER SPIELMANN

Tu die Äuglein zu, mein Kind,
denn draußen weht ein böser Wind.
Will das Kind nicht schlafen ein,
bläst er in das Bett hinein,
bläst uns alle Federn raus,
und kratzt dem Fratz die Augen aus!

BERTRAM, DER KNECHT

Es rappelt und sirrt, in dies Sägen verirrt,
ein Kindlein - entflammt in sein Totengewand.

DER SPIELMANN (jammernd)

Ein Kind, ganz keck, am Pferdchen hockt's und sägt zu Teufels Tanz,
dem Gaul ein Leck, ganz mürrisch bockt's, in seinen dicken Wanst!

DER SPIELMANN (DIE BUCKLIGE)

Mein Kind, ganz dürr, dein Händchen sühnt den Teufel!
Es schnarcht sich laut dem Klepper in den Schlund.

DER SPIELMANN (singend)

Herbei, mein Kind!
Das Pferdchen wird matt von der Rumsägerei!
Der Buckel ganz blau, das Köpfchen geknickt!

DER SPIELMANN (DIE BUCKLIGE)

Mein Kind, ganz dürr, dein Händchen sühnt den Teufel!
Es schnarcht sich laut dem Klepper in den Schlund.

DAS SCHAUKELKIND (höhnisch)

Mein Pferdchen, dein Köpfchen ist weg?
Dein Köpfchen weg?

DIE SCHWARZEN PUPPEN (neugierig)

Wer reitet so schnell durch Nacht und Wind?
Das Schaukelkind. Das Schaukelkind?

DAS SCHAUKELKIND

Hopp, mein Gaul, über Stock, über Stein, ohne Kopf, mein Gaul!
Dieser Wind macht uns böse und flennt, wenn er sich in der Kiste verrennt!
Spielmann, ich bin tot und ganz modrig und faul.
Wozu braucht dann den Kopf dieser Gaul? Dieses lebende, schaudernde Maul.

Dein Köpfchen weg? Dein Köpfchen weg?
Dein Köpfchen ist weg!

Spielmann, sieh sein Maul, dieses darbende Maul!
Seine Wunde macht ihn erst zum Gaul, diesen sterbenden, schaukelnden Gaul!

DER SPIELMANN

Was sprichst du Kind, Gesindel?
Der Klepper hutscht geköpft hier im Dreck,
gab sein Leben für euch Kinder!

Lass uns seine mürbe Mähne kraulen!
Sein Gras in unseren leeren Mäulern kauen!
Hutschen gar zu zwei'n!
Ich schwing' mich auf ihn!
Kindlein, nein, du hutscht mir nicht allein!
(Nun...schaukeln wir zu zwei'n!)

Der Gaul wippt blind - hüpf vorwärts, Kind.
Er stampft sein Köpfchen platt.
Ein Beinchen vor, das Ross erkor,
dich Fratz zum Schaukelkind!

Lass uns seine mürbe Mähne kraulen!
Sein Gras in unseren leeren Mäulern kauen!
Hutschen gar zu zwei'n!
Ich reite auf ihm!
Kindlein, nein, du hutscht mir nicht allein!
(Nun...schaukeln wir zu zwei'n!)

Klavier.

DIE BUCKLIGE

Das Kindchen hockt trüb auf dem Klepper und summt ihm ein Lied.

DER WERKELMANN

Wo ist das Köpfchen?
Schlug es das Tier?
Schlug es das Tier?
Schlug es dem Gaul das Köpfchen vom Schlund?

DIE BUCKLIGE
DER WERKELMANN

Der Gaul ist tot, das Kind hängt an ihm, die Händchen bluten wie das Tier.
Herzt das leide Schaukeltier...
Blutig zetert es dahin: "Mein Gaul mein Schaukelgaul ist hin!
Mein Gaul, mein G-a-u-l, mein G-a-u-l ist hin!"
Der Teufel hält die Fäden

Fünftes Kapitel


BERTRAM, DER KNECHT

Der Spielmann ist der König auf dem Puppenthron,
der Monarch, ein Regent mit `nem Bettlerlohn.
Ja, spielt mit Pfiff, dieser Leiermann...
den Puppen auf zum Sang!

KEZMAN

Spielt der Jude click und clack,
macht die Puppe hick und hack.
Doch der Teufel hält die Fäden,
wenn die Leiche Ausgang hat!

DIE BUCKLIGE (trällert)

BERTRAM, DER KNECHT

Der Spielmann ist der Schnitzer dieser Puppenstadt;
ein Quidam, der zum Tanz und um Frohsinn bat.
Nun ist er tot, der Leiermann...
Doch damit fängt es an!

DIE BUCKLIGE

Als Leich' ward er erwacht aus seinem Totenkahn,
völlig dürr und gemacht für die Geisterbahn.
Spielt gebannt, in bleich' Gewand!

SCHWARZE PUPPEN

Und dennoch ist er tot!

KEZMAN

Spielt der Jude click und clack,
macht die Puppe hick und hack.
Doch der Teufel hält die Fäden,
wenn die Leiche Ausgang hat!

DIE BUCKLIGE (trällert)

Solo Akkordeon

KEZMAN (DIE BUCKLIGE)

Wer hält denn hier die Fäden, wem sind sie denn ergeben,
all die schwarzen Puppen sind in Teufels Hand!

DER SPIELMANN

Mein Bett ist kalt und zäh...
Es friert mich wund und hält mich bleich,
es quält mich laut und ist nicht weich.
Nichts ich fand, was schön dort war,
kein Püppchen tanzt' in heller Schar!

DIE SCHWARZEN PUPPEN

Spiel dein Lied, ja dreh den Puppensong!
Schnarr ein Liedchen, lass uns wackeln, spiel für uns den Leiermann!


DER SPIELMANN

Spielen soll ich, tot und bleich?
Ja, ja, ja...ich...
Ich spiel für euch am Totenacker,
dreh mich wund', in dieser Stund',
Teufel, hältst du mir die Fäden,
wenn ich meine Kurbel dreh'?

DIE SCHWARZEN PUPPEN

Spiel dein Lied, ja dreh den Puppensong!
Schnarr ein Liedchen, lass uns wackeln, spiel für uns den Leiermann!

Klarinette

DIE BUCKLIGE

Sie feiern seine Lieder in der Puppenkluft,
waren Klotz, sind nun Leich' in der Judengruft.
Sind Gold für ihn und röcheln schrill...

SCHWARZE PUPPEN

Und dennoch sind sie tot!


Mit einem purpurroten Leichenkarren

Sechstes Kapitel

WERKELMANN

Mit einem purpurroten Leichenkarren wollen 4 Tote in die Kreisstadt fahren.
Ganz abgezehrt das Gaulgespann, das munter vor die Karre sprang.
Der grimmig alte Vladimir hockt in der Droschke hinter mir.
Die Füßchen scheppern laut und rein, der Russe sauft den deutschen Wein.
Vor mir hockt der Jonathan, er starb in einer Kegelbahn...
und liebte eine Jüdin gar als er noch quietschlebendig war.
Daneben sitzt der Kinderzar, der war ein frischer Brettspielnarr.
Er birgt die Knute in der Hand und spielte Schach im ganzen Land.
Ich liebe diese Toten, da hock ich nun mit all den Narren,
die Droschke läuft, ein roter Karren wird heute in die Kreisstadt fahren.

Macht Platz und lasst die Toten vor!

Siebtes Kapitel

WERKELMANN

Drescht das Pferdchen in die Stadt!
Drescht den Gaul! Drescht den Gaul!

So läuft das Pferdchen in die Stadt, wenn jede Leich' ein Plätzchen hat,
und vor dem runden Marktplatz dann, hält Jonathan die Droschke an.
"Die Toten klauen die Rüben aus dem Pott", sagt ein alter Herr im bunten Clownkostüm.
"Dobre djen! Dobre djen!" - Die Toten grüßen laut und klauen den Weibern noch das Zelt.

Eine Möhre steckt im Leichenschlund, das Grünzeug guckt dem Leichnam aus dem Mund.
Dem Rabenvater Theodor spielen sie dann ein Kunststück vor.
Der Säufer nuschelt tot und laut: "Der Fusel brennt!" "Der Fusel brennt!"
Der Werkelmann maust Nüsse aus dem Sack und rennt.

Die Droschke rollt zum Eisentor: "Macht Platz und lasst die Toten vor!"
Vorbei der alte Pferdekarren! "Macht Platz und lasst die Toten vor!" Die Karre kullert fort!
Er kommt ins Fahren, der rote Karren, und rumpelt heim zur Geisterbahn.
Das Mädchen im Prinzessinnenkleid

Achtes Kapitel

Ein Mädchen im grünen Prinzessinnenkleid hockt barfuß auf einem wackligen Stuhl vor einer staubigen Jammertruhe, die sich in der Sudelei all der schlampigen Toten in ein furchtbares Werkel verwandeln ließ. Um den Hals trägt das Kind eine Melodika geschnallt, in ihren Mundwinkeln hängt eine alte Kindertrompete. Aus den gesäumten, doch löchrigen Taschen luchsen verschiedene Plastikpfeifchen und -tröten hervor. Die Figur des "Mädchens im Prinzessinnenkleid" versteht sich als merkwürdige Mischung aus verletzlicher Kindfrau, morbider Musikclown und kindlicher Chansonstar und ist somit erst Gast und dann Bewohner jen' sterbender Gegend. Vom Teufel geritten klimpert das Mädchen auf den angesäuerten Tasten dieses Wimmerkastenpianos und starrt in die Leere der durchwegs stickigen Sumpflandschaft. Zur selben Zeit kauert Kezman, des Teufels General, in einer Furche vor dem Ringelspielgau und dreht an Urians Kurbel. Er holt das Kind zu den Toten.


EINLEITUNG

Das Mädchen summt und summt, klimpert und klimpert.

DER TOTMACHER (flüstert)

Komm, komm, mein Kind, des Teufels Wind entfärbt deinen salzlosen Leib.

KEZMAN

Er hascht dich zum Glück und mordet ein Stück, er macht dich zum ruchlosen Weib!

DER TOTMACHER (flüstert)

Er streichelt dein Haar und küsst unsagbar.
Mein Kindlein, so schön ist der Tod!

DER TOTMACHER
DIE BUCKLIGE

Das Mädchen im Prinzessinnenkleid, es kratzt so furchtbar am Tod.
Es huscht ganz blass in Sumpfes Gezeit und springt in den eigenen Tod.

KEZMAN (flüstert)

Der Körper wird kalt und ihr Atem verhallt!

BERTRAM, DER KNECHT
DIE BUCKLIGE

Das Mädchen im Prinzessinnenkleid vergällt in Teufels Gemach.
Es tränkt sein Kleid in die moderige Luch und stirbt ohne Zank und Gelach`!

CAMBIASSO

Du welkendes Ding, so makellos rein,
versenkst deinen eigenen Schrein.

WERKELMANN (DIE BUCKLIGE)

So klein ist der Tod, wenn er's Kindlein entdeckt,
wenn er schaukelt sein bitteres Boot.

Du, mein Fratz, gehorsames Kind,
tauchst ein in diesen Tümpel.
Dein Kleid, es nässt dich blass und fahl und dürr und klebt an dir - wie der Tod?
Du sinkst in diesem Weiher ein (Wo ist dein Händchen?).
Spürst du ihn? Er macht dich nass und kalt und blau und...hübsch!

DIE BUCKLIGE

Kindlein, so schön ist dein schmutziges Haar!
Es zappelt im dreckigen Pfuhl!
WERKELMANN (DIE BUCKLIGE)

Du, mein Fratz, ach sterbendes Kind,
hüllst ein dich in teuflischem Wind!
Dein Kleid, es nässt dich blass und fahl und dürr und klebt an dir - wie der Tod?
Du sinkst in diesem Tümpel ein (Wo ist dein Köpfchen?).
Spürst du ihn, er macht dich nass und kalt und blau und... teuflisch!

DIE SCHWARZEN PUPPEN (DIE WEISSEN PUPPEN)

Das Ding ist fort!
Das Kind ist tot!
Wo ist das Kind?

Das Kind...es lebt...bei uns!
Wo ist das Kind?

Das Kind...ist nun...bei uns!


Klezmerabend

Neuntes Kapitel

Es ist Abend auf Kezmans Totenacker und Redondo, der Klarinettist, spielt ein Klezmerstück, das er vormals deutschen Soldaten in betuchten Lokalen zum Besten gab. Der Werkelmann kauert indes im morschen Gebälk seiner Totenlade und frisiert seine drollige Marionette mit einem alten Wollkamm, den er wie ferngesteuert durch das struppige Kunsthaar schiebt. Fast kullert ihm eine Träne über die kalt erstarrten Backen, als er Redondos Klarinettenspiel hört, doch ehe er sich versieht, rollt ein Leichenkarren vorbei.

Totenackerswing

Zehntes Kapitel

Behutsam wird der Sarg des Mädchens (im Prinzessinnenkleid) auf einem müden Leichenkarren in den Friedhof geschoben. Hinter dem Sargkarren ächzt ein dicker Mann mit Hut (es ist der vor Jahren tot gemeinte Puppenspieler Jonathan). Dicht an ihre Grabsteine gelehnt frohlocken vermeintlich Tote mit roten Kussmalen, die ihre gellende Zuneigung zu frischen Leichen verraten. Mit ihren langen kalten Fingern strecken sich all die Toten nach der auffällig besetzten Totenlade. Das Mädchen in ihrem graziösen Puffärmelkleidchen zerfällt fast ob der Dutzenden klobigen Hände, die schamlos in die weit geöffnete Kiste stoben und den toten Kindsleib argwöhnisch befallen und mit klammer Erde beschmieren. Überall schwarze Puppen, die das Kind in ihrer kleinen, doch seltsamen Welt begrüßen wollen und ein irrwitziges Totenliedchen anstimmen. Der Totenacker tanzt den Totenackerswing!

EINLEITUNG

Der Sarg des Mädchens (im Prinzessinnenkleid) wird in den Friedhof geschoben.

DIE BUCKLIGE

Es schleppt der Leichenzug ein Kindlein herbei,
es schlug ihr der Kirchhof den Schädel entzwei.
S' Kindlein ist tot, geschminkt furchtbar rot.
Seht bloß, das Kindlein - es ist tot!

Solo Klarinette.

DIE SCHWARZEN PUPPEN (schauen in den Sarg des toten Mädchens)

Seht den toten Fratz im Sarg
Seht das kecke Ding!
Wie es liegt, das Kleidchen glänzt!
Ach, tanzt den Totenackerswing.

Küsst es doch, das schöne Kind,
leckt das kalte Fleisch.
Es lebe hoch der Leichenbalg,
der hier nach kaltem Bette heischt.
Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (Klarinette setzt ein)

Legt es ins Bettchen und feiert seinen Tod.
S'Kindlein ist unter der Erd' erst ganz tot.

BERTRAM, DER KNECHT

Das Kindlein wacht im Totenschrein und scheint für heute tot zu sein.
Gewahrt es doch, ja lebt es noch, ja lebt es denn im Schrein?

DAS MÄDCHEN (im Prinzessinnenkleid)

...summt ein Kinderlied

Solo Klarinette.

DAS MÄDCHEN (im Prinzessinnenkleid)

Sie zerrten das Kind in ein Bettchen aus Holz,
es griente und küsste die Puppen gewollt.
S' Kindlein ist tot, geschminkt furchtbar rot.
Seht bloß, das Kindlein - es ist tot!

DIE SCHWARZEN PUPPEN (DER DICKE JONATHAN)

Tanzt den Totenackerswing,
hebt die Beinchen hoch.
Das Mädchen im koketten Kleid,
es tanzt den Totenackerswing.

Hebt es aus der Truhe dann,
empor auf Teufels Acker,
Seht euch dieses Kindlein an,
es swingt ´ne Tote schicke-schacker!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (Klarinette setzt ein)

Legt es ins Bettchen und feiert seinen Tod.
S'Kindlein ist unter der Erd' erst ganz tot.

BERTRAM, DER KNECHT

Das Kindlein wacht im Totenschrein und scheint für heute tot zu sein.
Gewahrt es doch, ja lebt es noch, ja lebt es denn im Schrein?

Solo Violine.

BERTRAM, DER KNECHT

Totenackerswing! Tanzt den, ja tanzt den Leichenswing!
Es tanzt der Totenacker…den Totenackerswing!







Du wundervoller Zeitvertreib

Elftes Kapitel

Der Werkelmann kauert einsam vor dem Totenschrein des Mädchens (im Prinzessinnenkleid). Er schiebt den Deckel von der Totenlade und blickt gebannt auf den starren Kindsleib, der in ein feines Leinentuch gewickelt ist und dem Antlitz einer kindlichen Dirne entspricht. Der Kopf des Kindes wurde behutsam balsamiert, die weich gezeichneten Lippen mit rotem Lippenstift beschmiert. Wie ein eben verstorbenes Mädchen blickt dieses zarte Geschöpf aus der fauligen Gruft, die kugeligen Augen weit geöffnet. Es ist das schönste Geschöpf, das Kezman auf seinem Totenacker beherbergt. Völlig irr und bezaubert von der grazilen Statur der Leiche beginnt der Werkelmann die Tote zu küssen. Als der Gestank des toten Fleischs eine Dohle anlockt, verliert er die Fassung.


DER WERKELMANN (spricht)

Dein Haar ist so schön!
Dein Mund ist so schön!
Dein Leib ist so schön!
Dein Leib ist schön!

Klavier setzt ein.

DER WERKELMANN (völlig außer sich)

Mein Kind, so schön,
dein Mund ist hübsch und glänzt so wunderbar.

Ich bin so wild nach deinem harzig Haar
ich bin so wild nach deinem Lippenpaar.

Es küsst dich der Teufel.
Er streichelt dich barsch.
Er wühlt dir im Haar...
und leckt deine Backen.

(Violine)

DER WERKELMANN

Deine Lippen küsst der Tod.
Heiß ist nur dein Erdbeermund.

(Violine)

Eine Krähe fällt herab und hackt das Fleisch dir Range ab.

(Violine)


Liebt dich Range die Dohle?

Zwölftes Kapitel

Die Dohle reißt dem Kind das Laken vom Leib und beginnt den Leichnam auszusaugen. Wie besessen zerrt der Vogel am kalten Fleisch der Toten, zuerst an den Ärmeln, dann an den Füßen, später am Unterleib, zuletzt im Gesicht. Der Werkelmann klettert aus der Grube und blickt von oben auf den bald völlig entstellten Leichnam.


DIE BUCKLIGE

Es hockt dieser Vogel, sich auf deine Leich'
Es ist dieser Vogel, wie er trottet und schleicht,

DER WERKELMANN

Ein Ekel, das dich nun beraubt?
Ein Lump, ein Scheusal, ein Feind?


DIE BUCKLIGE

Liebt dich Range die Dohle?
Stiehlt sie dich scheel in die Nacht?

Es raubt dieser Vogel dein prachtvolles Haar.
Er saugt wie besessen dein Blut unsagbar.

Er stiehlt, was ich liebe und höhnt mit Begehr'.
Er nimmt deine Anmut, er quält dich so sehr.

DER WERKELMANN

Liebt dich Range die Dohle?
Liebt es dich mehr, dieses Tier?
Liebt es dich mehr, dieses Tier?

(Violine)

DIE BUCKLIGE

Der Tod ist gefräßig. Er winselt und schreit:
Er zerrt an den Leichen und meißelt sie gleich.

DER WERKELMANN

Liebt dich Range die Dohle?
Liebt es dich mehr, dieses Tier?


Schwarze Puppen

Dreizehntes Kapitel


SCHWARZE PUPPEN

Liegt ein Toter - seht, ein Toter sitzt im Kahn -...
Ein Toter liegt im Totenbett, ganz totenbleich und zahm.
Ja rotzt dem Clown ins Totenbett und seid ein bisschen nett.

Seht euch diese Toten an,
sie klappern wie in einer Geisterbahn.

DIE BUCKLIGE

Schwarze Puppen sind so sonderbar,
sie tanzen, wenn das Leben fällt.
Schwarze Puppen sind verlottert gar,
sie feiern was der Tod vergällt.

Was singt denn ein Toter als Toter?
Freut ihn diese Puppenschar?

Solo Klarinette.

DIE BUCKLIGE
BERTRAM DER KNECHT

Schwarze Puppen sind so sonderbar,
sie tanzen, wenn das Leben fällt.
Schwarze Puppen sind verlottert gar,
sie feiern was der Tod vergällt.

DIE BUCKLIGE

Ist jemand tot, dann hüpfen sie so komisch.
Sie klappern wie totes Gebein.
Ihre Fratzen sind kalt und diabolisch.
Sie spucken in die Gräber hinein.

SCHWARZE PUPPEN

Seht euch diese Puppen an,
wir gaffen doch so gerne Leichen an.

Spuckt in die Gräber, Gesindel, Bagage!
Neckt den Toten bis er flennt.
Klatscht in die Händchen mit Puppencourage.
bis die Leiche erst mal rennt.

Solo Klarinette.

...bis die Leiche erst mal rennt.
...bis die Leiche erst mal rennt.

Solo Akkordeon.
Solo Klarinette.


Es reiten die Toten so schnell

Vierzehntes Kapitel

Unweit der Friedhofsmauern versammelt Kezman, des Teufels General, unzählige reitfreudige Ringelspielpferdchen, um sie später über die verschneiten Felder Russlands zu hetzen. Die Bucklige weilt zum Freudenfest auf dem Erdberg vor dem rauchenden Totenpfuhl und läutet mit einem gellenden Glockenschlag all die rührigen Toten aus ihren Gräbern, um sie an Kezmans schnurriges Ritual zu erinnern. Der Kezman erhebt seine Stimme, ein Heer an fahrigen Reitern tummelt sich um den Ringelspielgau und zischt sodann auf tobenden Gäulen durch die Sümpfe, durch die Wälder und über all die verschneiten Teppiche hinweg, die der Winter in den letzten Tagen zurückließ. "Holt dem Tod das Leben heim!", dröhnt Kezmans Stimme von der obersten Stiege des erhabenen Erdbergs. Beharrlich verfolgt er das Treiben der elenden Reiter, die all das einsammeln, was das Leben nicht mehr gebrauchen kann: Lebensmüde Gerippe, die mit breiten Wundmalen und schwarzen Flecken in ihren Betten liegen; zweitklassige Soldaten, die einen fragwürdigen Dienst geleistet hatten, aber im eisigen Frost der Wintersnacht zu Tode kamen; erfrierende Gaukler und Spielmänner, verächtete Frauen in wolligen Kleidern, hagere Kinder mit verhärmten Gesichtern und schimmligem Holzspielzeug, ja kränkliche Gäule, modernde Brotsäcke und gezeichnete Marionetten, die von großen Lederstiefeln in die harte Erde getreten wurden. Die Pferdchen hetzen und stampfen, schnauben und grollen, die Gischt fest im Maul querfeldein im Tölt durch die tief verschneiten Dörfer. Wie ein Treibgeschoss fährt das lärmende Geschmetter der hastenden Hufen hinauf zum Totenacker, wo Kezman seine Leichen zählt und forsche Kommandos in all die Weiler und Flecken der schneebedeckten Umgebung brüllt. Es reiten die Toten so schnell. Seht doch her, sie irr'n umher!


KEZMAN

Ihr Toten, hockt auf! Hockt auf!
Hockt auf! Hockt auf!
Ihr Toten, hockt auf!
Kein Gaul hier verschnauft!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE

Es reiten die Toten, die elenden "Schoten",
auf ruppigen Gäulen ins teuflische Meer.

KEZMAN (DIE BUCKLIGE)

Peitscht die Pferdchen in die Sümpfe hinein!
Tobt von Teufels Acker und holt dem Tod das Leben heim!
Und holt dem Tod das Leben heim! Das Leben heim!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (CHOR)

Es reiten die Toten, die närrischen Boten!

DIE BUCKLIGE

Seht doch her - sie irr'n umher!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (CHOR)

Sie schnauben und grollen, ein teuflisches Wollen!

DIE BUCKLIGE

Seht bloß her - gleich seid ihr nicht mehr!

KEZMAN

Peitscht die Pferdchen in die Wälder hinein!
Tobt durch Holz und Dickicht und holt dem Tod das Leben heim!
Und holt dem Tod das Leben heim! Das Leben heim!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (CHOR)

Es reiten die Toten, die närrischen Boten!
Es reiten die Gäule so geifernd und schnell!

KEZMAN

so geifernd und schnell...so geifernd und schnell...

(Kezman hält kurz inne.)

Hockt auf!

Solo Violine.

BERTRAM/DIE BUCKLIGE

Der Tod hockt am Pferdchen, die Gischt schäumt im Maul,
Er stampft immer vorwärts, der klägliche Gaul.

DIE BUCKLIGE (CHOR)

Es reiten die Toten, die närrischen Boten!

DIE BUCKLIGE

Seht doch her - sie irr'n umher!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE (CHOR)

Sie schnauben und grollen, ein teuflisches Wollen!

DIE BUCKLIGE

Seht bloß her - gleich seid ihr nicht mehr!

KEZMAN

Peitscht die Pferdchen in die Sümpfe hinein!
Tobt von Kezmans Acker und bringt dem Herr'n das Leben heim!
Und holt dem Herrn das Leben heim! Das Leben heim!

Solo Violine.

KEZMAN

Lauft, lauft ihr Gäule lauft!
Hetzt und stampft und schnauft!
Lauft, lauft ihr Gäule lauft!
bis ihr an eurer Gischt ersauft!

Solo Violine.

Lauft ihr Gäule, ja lauft!
Ja, ja hetzt und stampft und schnauft
bis ihr an eurer Gischt ersauft!


Die flüchtige Leiche

Fünfzehntes Kapitel

Es ist Mitternacht. Aus einer gräulichen Grube guckt ein modriger Spielmann - den rechten Zeigefinger in seine Schnute gestreckt - durch eine jämmerliche Fuge "seines" Erdwalls in die Lüste von Campo Santo. Es war ihm, als säße er, als fahriger Totenmann befrackt, in der Grube eines Sterbenden. Der Tod hängt ihm an den Knochen und "dennoch muss ich hinter die Friedhofsmauern sehen" - sprach's und richtete sich auf. Umringt von seltsam sitzenden Marionetten wagt er es, sein Händchen durch die Rinne zu strecken und nach einer verwaisten Schippe zu greifen, die Cambiasso, der Totengräber, nebst nass gewordenem Schabau zur Seite legte. Mit einem faulig weichen Holzleierkasten auf dem Rücken rankt er sich auf, um nach einfältigem Schielen und schnödem Kauern in der Totenlade aus dem Grüblein zu steigen und sich - mit dem Spaten in der Hand - davon zu machen. Das Gerippe geht dem Ausgang zu und bleibt nicht ungesühnt.

Violine

DIE BUCKLIGE

Ein Deckel bewegt sich, ein Ärmelchen regt sich,
ein modriger Leichnam guckt aus dem Totenbett.

(Kiste öffnet sich)

Befrackt war der Tote, spottübel die Grube,
er griff sich´ne Schippe und schleppte sich weg.

(Die Bucklige lallt)

...aus dem Totenbett.

(Die Bucklige lallt)

Er trug einen Kasten, den leiernden Kasten,
Ganz faulig das Etwas, verließ es das Bett.
Es kroch stetig vorwärts, es stahl sich davon,
am Buckel ertrug es das Werkel mit elendem Hohn.
Der Totmacher sah's und folgte ihm schon.

Das Gerippe geht dem Ausgang zu

Sechzehntes Kapitel


DER SPIELMANN
DER TOTMACHER

Es haust in mir der Totenmann,
(klopft, der klopft, ja schnarrt und schnarcht)
und hängt an meinen Knochen dran!
(...schlägt und pocht, wie laut er pocht!)

DER TOTMACHER

Er spürt verrucht, mit Spott betucht,
den Werkelmann, der nun aus seinem Bettlein kam!

DER SPIELMANN (seltsam singend)

Es war mir so, als schlief ich ein,
in Teufels morschen Schrein.
Nun will ich der Clown auf diesem Totenacker sein.

DIE BUCKLIGE

Er schleppt sein verrucht Bein' aus dem Totenbettchen fort,
der Leierkastenmann schiebt sein Gerippe dann aus dem Totenhort!
Ein Püppchen, das froh die Knochen vorwärts trägt,
sein Fleisch verlor und mit ner Schippe um sich schlägt.

SCHWARZE PUPPEN

Und was kommt dann?

BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT

Der Leichnam geht dem Ausgang zu!
(er)...zerrt sich fort und stockt mit Hohn ein Lied dazu!

DAS UNGEZIEFER (giftig, die Totengräber auffordernd)

Legt lahm den toten Clown, wir woll'n an seinen Knochen kauen,
schnappt die Schippe, packt den Schalk und legt ihn wieder kalt!

DER SPIELMANN

Lasst mich andre Leichen sehen, ne` kleine Runde drehen...
und just ein bisschen Klee am Totenacker säen!

(Der Spielmann tummelt sich den Steinweg zum Ausgang hinunter.)

DER SPIELMANN (in Hast und vollkommen irr)

Nur nicht auf die Knochen hauen,
bloß nicht, lasst es sein, legt die Schippe weg...und schlagt mir nicht aufs Bein!

Von der Schippe getroffen sackt das Gerippe schließlich zusammen.

DER SPIELMANN (furchtbar lallend)
DAS UNGEZIEFER (einmütig)

Legt den Spielmann kalt, so lange er noch lallt!

DIE BUCKLIGE (sorgsam)

Sie schlugen das Püppchen, sie straften es perfid,
es konnte nur marode stehen.
Es stand entfärbt und ohne Tränen,
ganz müde war's von diesem schnellen Vorwärtsgehen.
Doch dann hebt es die Beinchen und kippelt wie ein (farbenfroher) Puppenfratz,
klapp, klapp, klapp, im Leichentrab, das Püppchen wurd' zur Katz,
es stiehlt sich ganz auf einem Bein, den Schädel unterm Arme, kehrt und heim ins Totenbett.

DER SPIELMANN

Wo ist das Totenbett? Ich hielt es doch adrett,
bin ein geköpfter, armer Totenclown!
Die kleinen rosa Schnäuzchen piepsten da so nett.
Wo ist die Kiste, dieses, dieses Loch von einem Bett?

DER SPIELMANN (verwirrt)

Mein Köpfchen lacht mir zu! Aha, es starrt...ja glotzt marod' und singt dazu:
"Der Tod ist fein - der Tod ist mein - der Tod will nicht alleine sein,
er hinkt, er stinkt, raubt Kopf und Bein und hockt in diesem Schrein!"
Die graue Welt macht keine Freude mehr

Siebzehntes Kapitel

Der Werkelmann liegt in seiner Kiste und flennt. Seelenwund und demütig versucht der verhärmte Spielmann, sich seine eigenen Knochen zu brechen. Er hat begriffen, dass sich der Tod nur schwer ein Schnippchen schlagen lässt, aber an ihm hängt wie ein giftiger Stachel, der ihn von den boshaften Launen Kezmans abhängig macht. "Die graue Welt macht keine Freude mehr, der Tod macht mir das Leben schwer", jammert das Gerippe in die ruhige Oktobernacht.

Solo Violine.

DER WERKELMANN

Der Tod ist so stet, kein Blut quillt aus den Toten.
Kein Tod hier vergeht, sein Stachel steckt in mir.

DIE BUCKLIGE

Die graue Welt macht keine Freude ihm mehr.
Der Werkelmann jammert und leidet so sehr.
Er küsst seine Wunden und knechtet sie rot
und wird und wird nicht tot.

DER WERKELMANN

Der Tod ist so schal, ich brech' mir alle Knochen
Er quält mich so stet, sein Gift steckt in mir.

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE

Die graue Welt macht keine Freude ihm mehr.
Der Werkelmann jammert und leidet so sehr.
Er küsst seine Wunden und knechtet sie rot
und wird und wird nicht tot.

DER WERKELMANN

Der Tod ist so hässlich, kein Fleisch hockt mir am Bein.
Er ließ mich am Leben, doch nun bin ich "Sein".

Er blieb noch ein Weilchen am Leben

Achzehntes Kapitel

Der graue Herbst hält Einzug auf diesem wunderlichen Totenacker. Ein eiskalter Sturmwind überfiel die Gräber all der lebenden Toten. Verdutzt hocken die fleischarmen Skelette im nassen Laub, das sich in den letzten Stunden zu seltsamen Totenbettchen zusammen getragen hatte. Die Bucklige lehnt - in eine dunkle Decke gehüllt - an ihrer stehend in den Boden gerammten Totenlade. Bertram, der Knecht, lümmelt auf dem Steindeckel der Lewski-Gruft und liebäugelt mit einer Flasche Wodka, die die Totengräber irrtümlich zurück gelassen hatten. Nur einige Gräber weiter kniet ein trübseliger Werkelmann vor dem verregneten Wimmerkasten des Requiempianisten, sein Köpfchen liegt daneben und schielt in das verdrießliche Totenbett, das er am liebsten gar nicht erst verlassen hätte. Zwischen den Grabsteinen, als wäre es ein Kontrollgang, schreitet Kezman voran. Der Werkelmann blieb noch ein Weilchen am Leben - doch der Tod klopfte an.

DIE BUCKLIGE
BERTRAM, DER KNECHT

Er spürte ein seltsames Pochen - der Tod klopfte an.
Sein Schädel griente Fratzen - die letzte Nacht begann.

Die Puppen starrten Löcher.
Die Gräber waren verweht.
Der Spielmann kniete achtsam,
sein Kleid war obsolet.
Er blieb noch ein Weilchen am Leben.
Der Tote blickte nach vorn.
Der Wind blies zuweilen daneben.
Der Tote wär' gern erfroren.

KEZMAN (schreit)

Er spürte die bittere Neige -
der Sensemann schritt auf und ab.
Er schielte ins Totenbett feige -
und klapperte klipp-klapp.

KEZMAN (flüstert)

Der Tote faulte vorwärts,
es brabbelte aus ihm - und dann:
Es brach ein letzter Abend an!

KEZMAN (schreit)

Der Tote faulte vorwärts.
Ein Käfer zog ihn in Bann.
Er hegte sein loses Köpfchen -
und murmelte angst und bang.

Solo Piano

DIE BUCKLIGE

Der Tote faulte vorwärts.
Ein Käfer zog ihn in Bann.
Er hegte sein loses Köpfchen -
und murmelte angst und bang.

KEZMAN (schreit)

Er spürte die bittere Neige -
der Sensemann schritt auf und ab.
Er schielte ins Totenbett feige -
und klapperte klipp-klapp.

Solo Piano.

Zehn tote Hampelmänner

Neunzehntes Kapitel

DER WERKELMANN

Zehn tote Hampelmänner zappeln hin und her,
zehn toten Hampelmännern fällt das gar nicht schwer.
Zehn tote Hampelmänner zappeln auf und nieder,
zehn tote Hampelmänner tun das immer wieder.
Zehn tote Hampelmänner zappeln ringsherum,
zehn tote Hampelmänner, die sind gar nicht stumm.
Zehn tote Hampelmänner spielen gern Versteck,
zehn tote Hampelmänner tun das auch im Dreck.





Der Kirchhof spielt zum Leichenschmaus

Zwanzigstes Kapitel

Ein Toter wird beigesetzt. Grund genug für all die verschrobenen Gerippe, ihre Instrumente zu bedienen und das Begräbnisritual der Königsberger auf die Schaufel zu nehmen. "Das Requiem fällt aus. Der Kirchhof spielt zum Leichenschmaus!"

DER WERKELMANN

Zehn tote Hampelmänner spielen zum Leichenschmaus.
zehn tote Hampelmänner ziehen die Toten nackig aus.

Akkordeon - Violine - Klarinette.

...spielen zum Leichenschmaus.
...ziehen die Toten nackig aus.

DER WERKELMANN

Tanzt ihr Puppen, schwoft umher!
Die Toten werden immer mehr!

DIE BUCKLIGE
BERTRAM, DER KNECHT

Stopft eure Mäuler, ihr törichtes Pack!
Zecht euch danieder, Lumpenpack!

DER WERKELMANN

Wir spielen auf zum Leichenschmaus!
Schwelgt nur im Graus!

DER WERKELMANN

Zehn tote Hampelmänner zappeln hin und her,
zehn toten Hampelmännern fällt das gar nicht schwer.

DIE BUCKLIGE

Verzehrt unsre Lieder, ihr törichtes Pack!
Zecht euch danieder, Lumpenpack!

Akkordeon - Violine - Klarinette.

DER WERKELMANN

Der Kirchhof spielt zum Leichenschmaus,
stopft eure Mäuler und schwelgt im Graus!

DER WERKELMANN

Wir spielen auf zum Totentanz! Patscht in die Händchen!
Und stopft euch Knochen in den Wanst!

Solo Akkordeon.

Wir spielen bunt, ihr Toten - zu dieser Totenstund'!
Verschlingt - ja stopft das Totenmahl in euren großen, weiten Schlund!

Solo Akkordeon (Die Bucklige).

DER WERKELMANN

Der Kirchhof spielt...zum Totentanz!
Tanzt...Ihr Toten, tanzt! Tanzt! Tanzt! Tanzt!

Solo Akkordeon (Die Bucklige).

Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!
Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!

Nun grient der Tod aus seinem Loch. Was glotzt ihr denn noch?
Der Tod ist mein...Der Tod ist dein...
Der Tod will nicht alleine sein!

Solo Akkordeon.

DER WERKELMANN

Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!
Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!

Der Tod grient so schroff, er schaukelt sein Schafott!
Der Tod ist mein...
Der Tod ist dein...
Der Tod will nicht alleine sein!

Solo Akkordeon (Die Bucklige).

DER WERKELMANN

Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!
Tanzt! Ihr Toten, tanzt! Tanzt, tanzt, tanzt!

Hoppa Hoppa Reiter

Einundzwanzigstes Kapitel

Hoch oben am zwielichtigen Erdberg des Totenackers, jenseits des Ringelspielgaus und dort, wo der Kezman mit grauen Argusaugen über seinen Friedhof wacht, schaukelt ein Hutschpferd achtsam auf und ab. Kezman steht neben der Mähre und birgt eine rote Knute in der Hand. Schnöde wackelt er das Schaukelpferdchen in eine ungestüme Lebhaftigkeit und redet es wach. Es ist ein Karussellpferdchen, das vormals auf einer Drehscheibe abseits des Totenpfuhls tanzte und nun der feisten Gerte Kezmans hörig scheint. Als das Pferdchen schon davon zu galoppieren droht, singt der Kezman den Werkelmann aus seiner urigen Kiste: "Hoppa, hoppa, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er!" Neckisch puppert das Peitschlein des Teufelsboten an der Holzdecke des Spielmanns, der wie wach aus seiner Kiste fährt, auf das Pferdchen steigt und das schrullige Tierchen mit gezielten Hieben durch den Friedhof jagt. Der Spielmann lenkt den Gaul in Kezmans Pfuhl. Er scheint ungehalten, aber verliebt in den Gestank dieser moderigen Brühe, die das sinkende Pferdchen mit einem grünen Breimantel überzog und im Schlamm des Sumpfes festhielt. "Komm, komm, mein Pferdchen", brabbelt der Werkelmann. Doch der Gaul ersauft und stirbt dem Spielmann weg - zu dieser grillenhaften Stund'!

KEZMAN

Hoppa, hoppa, Reiter,
wenn er fällt dann schreit er!
Fällt er in den Teich,
find't ihn keiner gleich.
Fällt er in die Hecken,
fressen ihn die Schnecken,
fressen ihn die Müllermücken,
die ihn vorn und hinten zwicken.
Fällt er in den tiefen Schnee,
dann gefällt's ihm nimmermehr.
Fällt er in den Graben,
fressen ihn die Raben.
Fällt er in den Sumpf,
macht der Reiter plumps!





Mein Gaul, mein Gaul verreckt im Dreck

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Violine.

BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT

Es riecht nach Hohn und Lumpenpack,
dreist aus diesem schnöden Loch.
Komm, komm, mein Spielmann aus dem Sack,
ja, hutsch dies Schaukelpferdchen doch!

DIE BUCKLIGE

Komm, komm, mein Spielmann aus dem Sack
und reite deine Mähre wund!
Es klopft und klopft der Sensenmann
zu dieser grillenhaften Stund'!

BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT (flüstert)

Klopf, klopf! Hutsch! Hutsch!

SCHWARZE PUPPEN

Fällt er in den Sumpf, macht der Reiter plumps!

DER SPIELMANN

Hutsch, ja hutsch, mein Schaukelgaul,
Hetze schacker, schacker durch den Totenpfuhl!
Macht das Pferdchen trib, trib, trab...
Fällt - sein Reiter ab!

DIE BUCKLIGE
BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT

Er hetzt diesen schnöden Schaukelgaul, ganz müd' und alt, die Peitsche knallt!
treibt ihm die Gischt ins leere Maul und peitscht das Pferdchen kalt!
Ritt ein Bub auf `nem roten Stöckelein, hob die Rute, hoch das Bein!
Nun ist es tot, das Bübelein, und schläft in einem Schrein!

DIE BUCKLIGE (spricht)

Es hüpft das Pferd, irr, verstört...
Trägt ihn durch den Totenacker...
Den Sumpf entlang, zum Einbaum trabt's
und macht dann zufrieden kehrt.
Der Jud, ganz wirr, verliebt sich laut,
in Sumpfes Gestank ganz wacker...
Es modert fast, der Gaul geschasst,
hüpft vorwärts, das Schaukeltier!

Solo Violine.

DIE BUCKLIGE
BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT

Er hetzt diesen schnöden Schaukelgaul, ganz müd' und alt, die Peitsche knallt!
treibt ihm die Gischt ins leere Maul und peitscht das Pferdchen kalt!

DER SPIELMANN

Ja, so hüpf doch, mein kühner Schaukelgaul, die Beinchen hoch, der Sumpf ist fein!
Wir wollen doch zum Mief ins Loch und in der Lacke sein!

DER SPIELMANN

Komm, Pferdchen, hopp - hüpf...im Galopp!
Höher, schneller! Dieser Duft wird noch viel greller!

BERTRAM, DER TEUFELSKNECHT

Das Pferd bleibt stehen im Sumpfe dann,
just in diesem grausig' Loch.
"Komm, komm, mein Pferdchen!", schrie der Mann,
der plump zu seinem Einbaum kroch!

DIE BUCKLIGE (Obrigkeit der Totenstadt)

Der Gaul, der Gaul verreckt im Dreck,
und bleibt ein Leben lang im Sumpf!
Ersauft und stirbt dem Spielmann weg
zu dieser grillenhaften Stund'!


"Siehst du dein Köpfchen im Spiegel?" "Nein."

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der Werkelmann lehnt an einer Eiche am Ufer des Sumpfes und verfolgt die schwindenden Luftblasen des welkenden Gaules, die wie putzige Seifenblasen in dieser verschrobenen Nacht zu verschwinden drohen. Als er in den Spiegel des Sumpfes blickt und dabei seinem Antlitz gegenübersitzt, erschallt die Stimme Bertrams, der den Werkelmann an sein kurioses Spiegelbild erinnert. "Werkelmann, sieht du dich in der Luch?", fragt Bertram. Der Werkelmann lehnt sich vor, blickt in den nächtlich schöner aussehenden Morast und schreit entsetzt auf. "Der Teufel sieht mich an - ich bin ein Teufelsmann." Er legte sein Köpfchen ab und erblickte stattdessen im Spiegel des Teufels Haupt auf seinem Gerippe. War er ein Teufel? War er der Teufel? Starr und verstört hockt er am Tümpel und flennt ins grüne Meer.

Violine.

DIE BUCKLIGE

Der Spielmann hockt am Tümpel und murmelt vor sich hin.
er flennt ins grüne Meer, er flennt ins grüne Meer.

BERTRAM

Werkelmann, siehst DU dich in der Luch?
Werkelmann, wo blieb denn dein...Verstand?

DIE BUCKLIGE

Verlorst du ihn ganz, als dein Köpfchen verschwand?
...dein Köpfchen verschwand.

Violine.

DIE BUCKLIGE

Der Spielmann lechzt am Tümpel und schielt ins grüne Meer.
das Köpfchen war verloren, das Köpfchen war verloren.

BERTRAM

Erkennst du dich, mein Freund?
Der Teufel ritt dich wund - er knechtet dich zum Biest......und zog dich in den Bann...

DIE BUCKLIGE (trällert)

Violine.




DIE BUCKLIGE

Der Spielmann hockt am Tümpel und murmelt vor sich hin.
er flennt ins grüne Meer, er flennt ins grüne Meer.

Klavier.

Der Spielmann lechzt am Tümpel und schielt ins grüne Meer.
das Köpfchen war verloren, das Köpfchen war verloren.

DER WERKELMANN

Der Teufel sieht mich an - ich bin ein Teufelsmann...
Der Spiegel quält mich bang.

...ich bin ein Teufelsmann...

DIE BUCKLIGE (trällert)

Violine.


Der Vorhang fällt

Vierundzwanzigstes Kapitel

Der Werkelmann weiß: Er wird dem Tod ein Schnippchen schlagen. Er wird ihm vorführen, wie jovial ein Toter dem Hinschied frönen und wie tot ein Toter sein kann. "Es ist mein Sumpf", klönt der humpelnde Werkelmann aus seinem losen Köpfchen. "Mein Sumpf ist kalt und welk", zischt er vor sich hin, stets bedacht, das Köpfchen am rechten Ort zu haben, seine Marionette August unter den rechten Arm geklemmt, und mit letzten Schritten zu Kezmans Pfuhl zu waten. Müde und lebensfaul durchforstet das Gerippe die Sarg hohe Schneedecke und wandelt in augenscheinlicher Dekadenz über Stock und Stein zum Ufer der halb vereisten Luch hinab, die links und rechts des Holzsteges nicht zufrieren wollte und ein letztes Plätzchen für die holde Statur des Werkelmannes bereit hielt. "Palaber - Araber - der Tod war zu gemein, der Werkelmann, der Werkelmann fällt in den Sumpf hinein!", trällert das knochige Gestell in den hallenden Friedhof. Er bückt sich vor, schmettert ein letztes Kinderlied und ertränkt seinen Leib im schlammigen Pfuhl dieses fahlen Totenackers. Der Vorhang fällt. Der Werkelmann ist (ein letztes Mal) tot.


Klavier.
Violine.

DER WERKELMANN

Es schreit ganz irr, der Tod aus mir!
Er lacht und spielt und tanzt mit mir!

Mein Sumpf ist kalt!
Mein Sumpf ist welk!

Violine.

DER TEUFEL

Der Tote ist tot. Der Tote ist tot!
Der Vorhang fällt!

DER WERKELMANN

Wir wollen, wir müssen in den Tümpel hinein.
der Tod in der Luch wird mein letzter wohl sein.
Wir stellen dem Teufel, dem Kezman, ein Bein,
ihr Puppen, ihr folgt mir, ja hüpft hinterdrein.
Palaber - Araber - der Tod war zu gemein,
der Werkelmann, der Werkelmann fällt in den Sumpf hinein!

Eia popeia - ist das eine Not!
Der Spielmann ersauft und der Tod bleibt im Boot.



Wir wollen, wir müssen in den Tümpel hinein.
der Tod in der Luch wird mein letzter wohl sein.
Wir stellen dem Teufel, dem Kezman, ein Bein,
ihr Puppen, ihr folgt mir, ja hüpft hinterdrein.
Palaber - Araber - der Tod war zu gemein,
der Werkelmann, der Werkelmann fällt in den Sumpf hinein!

...

Das Grab ist leer - es ist nicht mehr.
Nur ich blieb vage liegen.
Alles um mich riecht so sehr,
nach einem Totenbett.

Der Teufel mag die Toten gern,
so lange sie nicht fliegen.
Er holt sie aus den Kisten dann,
und neckt sie unentwegt.

Mein Sarg ist klamm, der Schimmel trieft,
ich will hier nicht mehr liegen.
Ein Würmchen nascht an meinem Fleisch,
und wird allmählich fett.

Das Grab ist leer - es ist nicht mehr.
Kein Knochen lässt sich biegen.
Die Erde riecht nach faulem Meer,
nebst diesem Leichenbett.


Ende.



































Stück/Fassung & Konzept von Michael Haas
Musik von Michael Haas & Emmerich Haimer
Vertont von Angizia (2003/2004)



© Medium Theater 2004

Lyrics in plain text format



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