Helrunar
Sól II - Zweige der Erinnerung
9. Europa Nach Dem Eis
Erst als es zaghaft zu tauen begann, wurde das ganze Ausmaß der Verwüstung sichtbar.
Irgendetwas war eingeschlagen wie 50 Megatonnen auf Novaja Semlja.
Die Grenzsteine waren in der Verwerfung verschwunden.
Was blieb, waren Ruinen am Rande des Kraters,
schemenhafte Ansichten, gespieen auf die heulende Erde.
Nichts davon war wirklich alt.
Doch schon so mancher hatte sich daran bedient.
Kinder der Leere, Propheten des Nichts.
Sie besetzten die Trümmer.
Sie erschufen nur Asche.
10. Aschevolk
Entrückend zog es sich in ferne Gräber
seinen Toten blieben nur Briefe (Schreie in der Nacht)
und alle erwachten in Trümmern
aus dem lauten Rausch
Die Erschütterung verstellte Worte
zerdachte durch bewachte Linien
ein träumendes Sütterlin
Aschevolk wohin floh deine Sprache
Verborgen vor der Vergangenheit
zwischen zwei Zeitzonen
wurden sie Zeitzeugen
als ein Heute sich gebar
Nichts in sich suchten sie ein Angesicht
für die zerstreute Innenwelt
verworfen auf die Grenzenerde
in Schemähren der Jahrtausende
Die Gezähe der Geschichte graben langsam
erstickt fanden sie den König am Berg
wo die Erstarrten an ihm nagen
Aschevolk wer verbarg deine Sterne
Aschevolk wohin floh deine Sprache
Aschevolk wer verbarg deine Sterne
Aschevolk mein Aschevolk
Wer versiegte deine Quelle.
Wir verinnern unseren Feuersturm
so oft wir können.
So lange wir können.
Dann entscheidet die Zeit.
11. Die Mühle
Gräsermeer, tauschwer
hebt sich so etwas wie Morgen
monochrom dröhnt grauer Dämmer
immer im Schatten der Mühle.
Ungetürm in Schall und Rauch
grundlos tief das Fundament
zieht den Schwarm in sein Uhrwerk
immer im Schatten der Mühle.
Oben schreien Rad und Stein
in der Mitte Massen mahlend,
unten rieselt Knochenstaub.
Immer im Schatten der Mühle.
Wie soll man leben
mit diesen Geschossen
eingeschlossen im Gehirn.
Immer im Schatten der Mühle.
12. Rattenkönig
[Tag 184:]
Mein Hass versucht mich wieder kalt zu starten.
Blinde krönen das Ahnengrab mit falschem Bernstein und geben sich sehend.
Dieser Blick aus Eis nichtet jede Heiligkeit.
Aufgedunsen tarnen sie mit Helmen, deren Flügel verbrochen sind, die schmale Stirn.
Wie konnte es soweit kommen...?
Lüstern wühlt die Angst
in den Scherben der Lügengeschichte
und schreit bei jedem Fund entzückt ICH!
gern verbirgt sich das Kriechtier
hinter dem Schein des Erhabenen
sein Wort aus Stein ist feindlich
Ichruinen halten Gericht
über vertretene Wege
ihr Geschrei ist Gift
ihr Rausch zerwegt die Welt
es regt sich Ekel
vor diesem scheinwerfenden
Saeculum
verharrend auf die Flut
das Blut des gehörnten Tieres
Óss. Lögr. Úr.
Diese Welt ist nicht die unsere.
Wir wollen sie nicht annehmen, wir wollen nicht in ihr leben, wir wollen sie nicht einmal beherrschen.
Diese Welt ist für jene, die sich um die faulenden Abfälle der Tafel ihrer Mächtigen balgen.
Jene, die sich selbst feiern in ihrem Saal, dunstig vom Atem der Aasfresser.
Jene, die Unrat mit Gold wiegen. Jeder Fraß schafft ihnen nur neuen Hunger.
Wir weisen das Verwesende von uns. Gehen wollen wir schon längst.
Fliehen in die Stille der Wälder, wo all ihr Geschrei kein Zweiglein rührt.
Doch sind wir geschlagen in Ketten.
Wimmelnd fängt sich das Gewürm
durch sich selbst in sich selbst
wird sein Versteck entdeckt
geifernd frisst sich das Gewürm
durch sich selbst mit sich selbst
und herrscht und herrscht
wir fraßen zu lange was sie ersprachen
Óss. Lögr. Úr.
13. Moorgänger
Es ist ein Kreuz im Fenn ein Zeichen im Nebel.
Tau der toten Zweige.
Es ist ein Bruch im Fenn gerissen vom Dorn.
Und tückisch sind die Trichter.
Leben.
Da ist ein Ort im Fenn, er richt nach alter Nacht
und der Weg dorthin ist seltsam, viele sind auf ihm verharrt.
Wie Spinnenfrau und Gräberknecht.
Verdammt zu ewig gleicher Tat
Mancher greift nach ihrem Fäden im Wind
oder flieht vor seinem Greinen.
Nicht wissend, dass sie nur Gespenster sind
die dem Wanderer seine Freiheit neiden.
Immer immer wieder spinnt sie nur den gleichen Faden
un verbleibt in ihrem Dickicht.
Immer wieder gräbt er, schultert stolz den Spaten
und findet sich nicht.
Aus Nebel werden Fäden
auf zweigdurchtränktem Grund
wandelt webt das Unbedingte
ein ewiges Jetzt.
Die Sichel schneidet, Not knüpft das Netz neu.
De Sichter schnedet, Naut knepet Netz ner.
Sigder schert, Neider kneit Netz nur.
Sidðr sker, Nauðr knýtr Net nýr.
14. Lichtmess
[Tag 243:]
In all diesem Tod ist kein Tod. Und keine Hoffnung.
Es gibt nichts zu hoffen. Nur anzunehmen.
Das Gefäß leert sich voll von Möglichkeit.
Das Nichts pulsiert.
15. Sól
Sól ek sá, sanna dagstjörnu
drúpa dynheimum í;
en Heljar grind heyrða ek
á annan veg þjóta þungliga.
Sól ek sá, á sjónum skjálfandi,
hræzlufullr ok hnipinn;
þvíat hjarta mitt var heldr mjök
runnit sundr í sega.
Ich sah die Sonne zitternd stehen
wie zum letzten Mal.
Ich sah die Sonne untergehen
wie für immer geworfen auf die Erde.
Sól ek sá, setta dreyrstöfum,
mjök var ek þá ór heimi hallr;
máttug hon leizk á marga vegu
frá því er fyrri var.
Ich sah die Sonne auferstehen,
steigen, sinken, steigen, sinken.
Ich sah die Sonne langsam schwinden.
Beugte mich im letzten Licht meinen Schatten zu finden.
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